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Kaiserslautern in der Zeit des Nationalsozialismus
Spurensuche auf dem Waldfriedhof Kaiserslautern


Das Urnenfeld am Springbrunnen

Urnengrab von P. Becker - Ermordet im KZ
Pfarrer Groß, Mitglied der bekennenden Kirche Martin Niemöllers, berichtet in seinem Tagebuch folgendes:

"Eine der grausamsten Erinnerungen, schon verhältnismäßig früh im Dritten Reich, war mit die Urnenbeerdigung eines Mannes namens Becker aus der Friedensstraße. Seine Urne kam aus einem KZ. Er war schon früh festgenommen und in ein KZ verbracht worden. Grund der Festnahme und Gefangensetzung war mir nicht bekannt. Ich kannte seine Mutter, die in unserem Frauenbund der 4. Pfarrei war. Eines Tages mel-dete diese Frau den Tod ihres Sohnes. Er ist im KZ umgekommen. Wie, wurde nicht mitgeteilt. Die auf dem Sterbeschein angegebene Ursache des Todes entsprach nicht der Wahrheit. Er wurde ermordet. Unvergeßlich ist mir der Schmerz seiner Mutter. Als die Urne auf dem Urnenfeld in der Nähe des Tores an der Mannheimerstraße ne-ben dem Springbrunnen in die Erde gesenkt wurde, tat die Mutter einen Schmerzensschrei, den ich nie vergessen habe. Ich habe mich dieser armen Frau besonders ange-nommen, sie im Frauenkreis begrüßt und auch wiederholt besucht. Wer in der frühen Zeit des NS ins KZ kam, den hielten die Leute für einen Kommunisten oder eine kri-minellen Taugenichts. Der schlechte Leumund des Sohnes wurde auch auf die Mutter übertragen. Die Frauen in unserem Frauenkreis wollten mit der Mutter eines so ge-brandmarkten Sohnes nichts zu tun haben. Daß das KZ eine große Unmenschlichkeit und Verbrechen war, das die Partei kennzeichnete, das dachte damals selten jemand."

Urnengrab einer Krankenschwester - Opfer der Euthanasie
Seit Oktober 1935 wurden in viele Heil- und Pflegeanstalten, auch Heime, in denen Schwachsinnige, Epileptiker, Nervenkranke und Sieche gepflegt wurden, mit einem Rundschreiben des Reichsminister des Inneren Meldebogen zugestellt. Ein Begleitschreiben forderte die planmäßige Erfassung dieser Kranken. Die Meldebogen sollten bis 1.12.39 direkt an den Innenminister gesandt werden. Unterschrift Dr. Conti. Damit begann die Durchführung einer grausamen Vernichtung des "lebensunwerten Lebens", genannt "Gnadentod" -Euthanasie.

"Eine andere Urnenbeerdigung aus der Frühzeit der Partei war die Beerdigung einer ehemaligen Krankenschwester, einer Verwandten des Bahnhofsverwalters Schläfer vom Bahnhof Kaiserslautern-Nord. Sie war im ersten Weltkrieg Pflegerin von schwer Kriegsverletzten. Unter der Wirkung der schwerverwundeten Männer bekam sie einen Nervenschaden und mußte in eine Nervenklinik gebracht werden. Die Familie Schläfer hatte prächtige Söhne. Ich habe mich wiederholt nach dem Ergehen ihrer Tante erkundigt und die Antwort bekommen: 'Es geht ihr besser, wir rechnen mit ihrer Entlassung' Eines Tages erschien Herr Schläfer in Trauerkleidung und erklärte: 'Meine Schwester ist im Württembergischen, wohin sie mit anderen Nervenkranken verlegt war, gestorben.' Von einer Verschlimmerung ihrer Krankheit war ihnen nichts bekannt. Die Schwester, die sich als Pflegerin von Schwerverwundeten sehr verdient gemacht hatte, wurde wie alle geisteskranken Menschen als unwertes Glied der menschlichen Gesellschaft betrachtet und vergast."

Auf diesem Urnenfeld befinden sich auch die Gräber der Sozialdemokraten Klement und Hartung, die beide mehrfach währende des Dritten Reiches inhaftiert wurden, sowie des Kommunisten Karl Huber (Buchenwald). Er starb an den Folgen der KZ-Haft. Karl Huber war der erste Landessekretär der VVN in Rheinland-Pfalz.
Weitere Opfer der Euthanasie
Daß auch aus Kaiserslautern viele Mitbürgerinnen und Mitbürger Opfer dieser "Euthanasieaktivitäten" der Nazis wurden, schildert Pfarrer Groß an anderer Stelle seines Tagebuches "Das Grauen der Urnen":

"Als Pfarrer der großen 4. Pfarrei Kaiserslautern hatte ich soviel Beerdigungen als das Jahr Tage hat. Vor und nach dem 2. Weltkrieg waren es wenig Urnenbeerdigungen. Das hat sich in dem Jahr 1939 geändert. Auf einem Schrank im Pfarrerzimmers des Friedhofes standen die Urnen. Was es mit den Urnen für eine Bewandtnis hatte, wurde mit allmählich klar. Die Urnen wurden meist von dem Pflegeheim vom Schloß Grafeneck auf einer Höhe der schwäbischen Alb zugeschickt. Bis zum Ausbruch des Krieges war die Anstalt Eigentum der inneren Mission, der Samariterstiftung, die an verschiedenen Orten körperlich und geistig Behinderte aufnahm und pflegte. Bei Ausbruch des Krieges wurde sie auf Weisung des württembergischen Innenministeriums beschlagnahmt, die Pfleglinge wurden verlegt und Grafeneck zur Aufnahme anderer Pfleglinge bestimmt. Welcher Pfleglinge? Man wußte es nicht. Das Schloß lag einsam in einem spärlich bewohnten Waldgebiet. Die Bevölkerung wurde aufmerksam auf unerklärliche Dinge. In Grafeneck wurde plötzlich ein Krematorium gebaut und ein Standesamt eingerichtet. Der Bevölkerung wurde das Betreten des Schlosses streng verboten. Es sollte alles geheim bleiben, aber es sickerte doch durch. Es kamen Krankentransporte, die auf dem kleinen Bahnhof Marbach an der Lauter ausgeladen wurden. Es kamen Autobusse mit undurchsichtigen Fenstern, die die Kranken von anderen Anstalten oder Bahnhöfen brachten. Die Kranken verschwanden in dem Schloß. Alles geschah gespensterhaft, rasch und stumm. Und der Schornstein des Krematoriums rauchte. Er hörte nicht auf zu rauchen. In den Zeitungen erschienen immer mehr Todesanzeigen mit dem Vermerk: gestorben in Grafeneck. Der rauchende Schornstein des Krematoriums war ein furchtbares Fanal. Das deutsche Volk wußte nichts. Selbst Minister waren ahnungslos. Nicht einmal der Reichsinnenminister erfuhr, was in seinem Reich geschah. Im Pfarrhaus erschienen Leute und meldeten eine Beerdigung an. Auswärts verstorben. Die Trauerfamilie bekam ein Schreiben ungefähr folgenden Inhalts:

'Ihre Tochter wurde vor Wochen zur Behandlung hierher verlegt. Wir stellten eine große Herzschwäche fest, die wir mit unseren Mitteln zu beruhigen versuchten. In der Nacht vom 17./18. Juni 1939 erlag sie einem Herzschlag. Wir bedauern, Ihnen diese betrübliche Nachricht machen zu müssen. Trösten Sie sich mit der Tatsache, daß Ihre Tochter von einem Leiden erlöst wurde, für das es keine Heilung gab. Wir haben die Entschlafene eingeäschert und bitten im Lauf von 14 Tagen um Nachricht, ob Ihnen die Urne zugesandt werden soll. Unkosten entstehen Ihnen nicht. Herzliche Teilnahme, Heil Hitler! Heilanstalt Grafeneck.'

Weitere ähnliche oder abgeänderte Briefe machten deutlich, was hinter den Briefen stand. Sie waren alle Tarnung, Konstruktion und Lüge. Immer handelte es sich um Menschenmord. Man war machtlos, dagegen etwas zu tun. Alles spielte sich im Dunkeln ab. Die Anstalt nannte sich Pflegeanstalt, war in Wirklichkeit eine Anstalt zur Vernichtung sogenannter lebensunwerter Menschen. Das war die grausame Wirklichkeit hinter den Urnen."


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