Nachwuchs garantiert
Rheinland-Pfalz ist eine Hochburg der Neonazis. Auch die Ludwigshafener Täter
hatten Kontakte zur rechtsextremen Szene.
Auf Antifa-Gruppen aus Rheinland-Pfalz wirkt die allgemeine Verwunderung
lächerlich. Bestenfalls durch "Unwissen und Verdrängung" sei die
offizielle und mediale Überraschung zu erklären, die auf den Brandanschlag auf
das Ludwigshafener Asylbewerberheim folgte.
Tatsächlich gilt das Bundesland und besonders die Region Mannheim-Ludwigshafen
schon seit mehreren Jahren als eine der westdeutschen Gegenden, in denen
rechtsextreme Organisationen und Skinheadgruppierungen ungestört Nachwuchspflege
betreiben.
Einer der führenden Neonazis der Region, der momentan noch inhaftierte
Naziskinhead Christian Hehl, rühmte sich schon zu Jahresbeginn, dass
"die Bewegung" in Rheinland-Pfalz keine Nachwuchssorgen habe.
Wozu dieser Nachwuchs fähig ist, macht der Ludwigshafener Anschlag deutlich, bei
dem drei kosovo-albanische Kinder verletzt wurden: Die vier Täter - zwischen 14
und 18 Jahre alt - hatten sich nach Angaben der Staatsanwaltschaft Frankenthal
am frühen Abend des 14. Juli in der Wohnung des 18-jährigen getroffen. Dabei sei
der Plan entworfen worden, die Wirkung von Molotow-Cocktails auszuprobieren.
Auch das Ziel fand sich schnell: Die Flüchtlingsunterkunft im Stadtteil Oppau.
Jeder der vier Täter hatte nach eigenen Angaben einen Molotow-Cocktail in der
Hand, der auf Kommando des Gruppenältesten auf die Fenster des Heimes geworfen
werden sollte. Es war wohl purer Zufall, dass nur einer der Brandsätze das
Fenster der kosovo-albanischen Familie durchschlug, die zu diesem Zeitpunkt
mit Freunden Abschied feierte.
Gegenüber den Beamten, die die Täter innerhalb von vier Tagen ermittelten,
wollte bisher keiner der Jugendlichen einräumen, das Fenster tatsächlich
getroffen zu haben. Andreas B., Christian Sch., Michael V. und ihr vierter
Mittäter sind trotz ihres Alters in der Szene nicht unbekannt. Zwei von ihnen
sind wegen Sachbeschädigung und Körperverletzung polizeilich erfasst. So
verwundert es denn auch nicht, dass selbst Polizei und Staatsanwaltschaft
"Fremdenhass und Ausländer-feindlichkeit" als Tatmotiv nannten.
Auch zu rechtsextremen Organisationen bestanden früh Kontakte: Während
Staatsanwaltschaft und Polizei sich weigern, konkrete Organisationsangaben zu
machen, berichtete die Rhein-Neckar-Zeitung, einer der Täter habe schon mit 13
Jahren dem "Stahlhelm - Kampfbund für Europa e.V." nahe
gestanden.
Und über die Vorstellungen dieses Vereins besteht kein Zweifel.
"Das oberste Ziel des Stahlhelms ist die Wiederherstellung des Deutschen
Reichs in seinen historischen Grenzen", erklärte der 1996 zum
Bundesgeschäftsführer gewählte Günter Drückhammer aus Niedersachsen.
Während der Bundesverfassungsschutz die Gruppierung seit 1975 nicht mehr erwähnt,
da der Verein "bundesweit unbedeutend" sei, berichtet das
Antifaschistische Infoblatt in der Ausgabe 50 von bundesweit funktionierenden
Strukturen für Wehrsportübungen, die der Verein auf seinem zentralen
Schulungszentrum in Jork Klein Hove in Niedersachsen durchgeführt haben soll.
Ein regionaler Schwerpunkt findet sich in Rheinland-Pfalz. So riefen Nachbarn
des vom zweiten Bundesführer Hans-Jürgen Hertlein betriebenen
Stahlhelmheims am Potzberg bei Altenglan in der Pfalz die Polizei, nachdem in
der diesjährigen Silvesternacht auf dem Gelände Schüsse gefallen waren. Und der
Saarpfälzer Anti-Antifa-Funktionär Stefan Michael Bar aus der Region
Mannheim-Ludwigshafen kaufte 1995 von einem der Waffenhändler aus der
Stahlhelm-Truppe für 600 Mark eine Maschinenpistole.
Ein Rückblick auf die Entwicklung der rheinland-pfälzischen Neonazistrukturen im
letzten Jahr macht es deutlich: Hier "greifen alle Strukturen - von
Blood&Honour über die Freien Kameradschaften, insbesondere die Karlsruher
Kameradschaft, bis hin zu den Resten der NPD-Jugendorganisation JN - ineinander",
so ein Sprecher der Antifaschistischen Initiative Heidelberg.
In der Vergangenheit hatte es mehrfach Steinwürfe auf die Unterkunft in Oppau
gegeben. Im Juni war in Worms ein Weinfest von einer Gruppe Naziskinheads
angegriffen worden. Im gleichen Zeitraum wurde dort der Jüdische Friedhof
geschändet - der vorerst letzte in einer Kette von Schändungen jüdischer
Friedhöfe in der Region in den letzten zwölf Monaten.
Selbst der Verfassungsschutz zählt in der Region fünf verschiedene
Neonazifanzines. Das bundesweit bekannteste und aggressivste ist der von
Stefan Michael Bar herausgegebene Reichsruf. Im Januar 1999 wurde der 24jährige
Bar unter anderem deshalb zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Nachdem er zwei
Drittel der Strafe verbüßt hat, ist Bar inzwischen wieder auf freiem Fuß.
Bar, zu dessen Vorbildern der Anti-Antifa-Aktivist und Polizistenmörder
Kay Diesner zählt, gehört zum Umfeld der Nationalen Volksfront (NVF).
Bei polizeilichen Ermittlungen vor zwei Jahren wurden bei Mitgliedern der
Gruppierung u.a. sieben Maschinenpistolen, elf Gewehre, Munition, Sprengstoff
und Minen gefunden. Dass diese Waffen zum Einsatz kommen, steht außer Zweifel.
So wurde eine der gefundenen Maschinenpistolen bei einem Anschlag auf einen
türkischen Imbiss im Jahr 1996 in Neustadt verwendet.
Enger Weggefährte von Bar ist der 16jährige Ronnie Reimer aus
Schifferstadt, der als einer der Herausgeber der im Dezember bundesweit
verschickten Anti-Antifa-Liste "Wehrwolf" gilt. Auch Reimer bevorzugt
offenbar die unter dem Label vom Weißen Arischen Widerstand ausgegebene Parole
von der "Propaganda der Tat". Er soll im Mai dieses Jahres an einem
gescheiterten Brandanschlag auf das Jugendzentrum Mannheim beteiligt gewesen
sein.
Auch die NPD versucht, sich die rechte Jugendsubkultur vor Ort zu Nutze zu
machen. So marschierten rund 300 Neonazis am 1. Mai in Ludwigshafen auf.
Damals habe die NPD angekündigt, erklärte der grüne Ludwigshafener
Landtagsabgeordnete Bernhard Braun, die Stadt zu einem ihrer Hauptaktionsgebiete
in Rheinland-Pfalz zu machen.
Dennoch: Herbert Klein vom rheinland-pfälzischen Landeskriminalamt ist sich auch
noch nach dem Ludwigshafener Brandanschlag sicher: "Wir haben die Szene
im Griff" - bis zum nächsten Brandanschlag.
Quelle: Jungle World vom 26.7.2000
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